Nach dem Aufstehen tröpfelt es leicht und dann setzt doch etwas Regen ein. Da wir als Staffel erst nach 9 Uhr starten, können wir in Michaels Fernseher den Rennverlauf der Profis und der ersten AK-Athleten erleben. Und gleich ein Sturz, direkt in der Kurve bei unserem Campingplatz. Das bedeutet für mich, Obacht! Die Strasse ist, auch wenn es jetzt nicht mehr regnet, glitschig.
Am Wechselplatz bereiten Michael und ich uns auf den Start vor. Welchen Weg laufen die Schwimmer, wie muss Michael sich orientieren, etc. Eigentlich sehr unproblematisch. Dann der Start unseres Blocks. Leider kann ich Michael nicht ins Wasser schicken, denn ich komme nicht mehr aus der Wechselzone raus zum Schwimmstart. Egal, jetzt habe ich noch eine Stunde Zeit zum Fertigmachen und Aufwärmen. Der Blick in den Himmel lässt erahnen, regnen wird es wohl nicht mehr, aber Sonne gibt es auch nicht. Auf dem Rad brauche ich es nicht so heiss.
Die ersten Staffelschwimmer kommen und werden von den übrigen Teilnehmern angefeuert und unterstützt bei der Wegfindung. Da, ist das nicht…, „Michael! Hier, hierher!“. Michael sieht mich nach einer kurzen Verwirrung und findet gut zum Platz. Der Wechsel war problemlos und jetzt beginnt die Reise für mich.
Erstes Mal in Roth, erstes Mal 180 km Zeitfahren. Ich freue mich auf eine schöne Tour. Der Start ist etwas hakelig, denn mein linker Schuh findet die Klickpedale nicht gleich. Dann aber geht es vorwärts. Die „Sturzkurve“ der Pro’s passiere ich ohne Zwischenfall und nach und nach wird die Strasse trockener. Das erste Ziel für mich ist ganz klar, eine gute Zeit für die erste Runde. Mir geht es gut und ich gebe Vollgas. Es fühlt sich ein bisschen an wie fliegen, wenn man an den übrigen Athleten vorbei ballert. Alle fahren friedlich und konzentriert.
Den Anstieg in Greding hab’ ich mir schlimmer vorgestellt oder fühlt es sich so leicht an, weil die Zuschauer uns Athleten den Berg hoch schreien? Jedenfalls geb’ ich weiter Gas und überhole mehr und mehr Einzelstarter. Zwei von Ihnen lutschen an meinem Hinterrad und wir wechseln uns in der Führungsarbeit etwas ab.
Jetzt überhole ich auch einige Fahrer, die etwas unsauber unterwegs sind. Scheinbar sind zehn Meter Abstand, von Hinterrad zu Vorderrad, doch bei einigen etwas anders dimensioniert. So ähnlich wie, „Pink ist jetzt das neue Schwarz“ gilt für manche, „2 Meter sind jetzt die neuen 10“. Gut, das ist nicht mein Problem. Sollen sich die „Sherifs“ drum kümmern.
Im Laufe des Rennens wird es jetzt etwas windiger und in der Serpentinen-Abfahrt weht der Wind schon leicht böig. Mit etwas Respekt, doch relativ zügig fahre ich in die Kurven und bekomme hier und da mal einen Windstoss ins Vorderrad. Aber alles kontrollierbar. Das 404er Vorderrad bietet eben auch nicht so viel Fläche und reagiert glücklicherweise recht träge auf solche „Luftangriffe“.
Plötzlich wird es laut, lauter als bei den sonstigen Ortsdurchfahrten. Ah, Solarer Berg. Die Menschen stehen dicht an dicht und der Asphalt der Strasse ist kaum erkennbar. Ein Teilnehmer fährt auf der linken Seite und ich suche mir einen Platz, um durch die Massen durchzukommen und zu überholen. Es bleibt mir kein anderer Weg, ich muss rechts vorbei. Ausserdem wedele ich noch mit einer Hand, um den Zuschauern anzuzeigen, „macht bitte etwas mehr Platz, ich bin schneller.“ Wie von Geisterhand öffnet sich die Masse und ich darf ungehindert passieren. Den Tinnitus verliere ich nach einigen Kilometern wieder.
Nicht mehr weit und die erste Runde ist rum…
Da ist ja schon der Schwimmstart und die Brücke über den Kanal. In der „Sturzkurve“ höre ich, „Lutz, jawoll, Gas …“ ich hebe die Hand zum Gruss. Das war Michael und Family, die mich nochmal richtig angefeuert haben.
Km 90, ein Blick zur Uhr, 2 Stunden 28 Minuten. Yes! Das wollte ich, endlich mal eine Zeit unter 2 Stunden 30 für die 90 km. Jetzt weiter das Tempo halten und Schmerzen ignorieren. Die Verpflegung in Form von einer Flasche Gel reicht auch für die zweite Runde, aber es schmeckt nur noch ekelhaft süss. An der nächsten Erfrischungsstation greife ich eine Flasche Iso, um den Geschmack etwas zu neutralisieren.
Ein Stimme meldet sich hinter mir, „Sorry, is this the right way to Roth (gesprochen: Rodss)? Oh no, you must go back to the village before and than turn to the left. Shi*…, thank you.“ Offensichtlich hatte der Brite den Abzweig in Eckersmühlen verpasst.
Km 110, langsam, aber sicher, brennt mir der Hintern. Kleinere Anstiege im Wiegetritt bringen etwas Entlastung. Leichte Krämpfe in den Beinen machen sich bemerkbar. Eine Salztablette sollte helfen. Zwischen km 140 und 150 kommt mir die Stecke wie eine Ewigkeit vor. Der Wind bläst mir entgegen und der Anstieg zum höchsten Punkt der Strecke will einfach nicht enden. In der Abfahrt kommt der Wind von hinten. Als ob das was helfen würde?
Solarer Berg zum zweiten Mal. Immer noch stehen viele Zuschauer an der Strecke und brüllen einen den Berg hoch. Wieder Krämpfe und die zweite Salztablette muss Linderung bringen. Jetzt ist es nicht mehr weit, km 167 zeigt die Uhr. Nur noch 23 Kilometer. Wieso 23? Nein, 13 sind es nur noch. Durch die vielen Mitteldistanzen hat sich eine 90 eingeprägt und die muss da doch auch auf dem Display vom Tacho stehen?! Ja, 13 km. Die sind ja schnell abgespult, jedenfalls im Training. Also jetzt noch mal 20 Minuten volle Kanne und in der Wechselzone nicht umfallen. Das ist alles was mich fokussiert.
Möglichst klein versuche ich dem Wind wenig Angriffsfläche zu bieten und überhole weiter stetig andere Teilnehmer. Es kommt mir so vor, als hätte ich das halbe Feld aufgerollt. In Eckersmühlen entscheide ich mich, den Abzweig Richtung Roth zu nehmen und erinnere mich noch einmal schmunzelnd an den Briten. Noch 5 km bis in die Wechselzone. „Weiter, alles was noch drin ist“, sporne ich mich an. Einen Marathon muss ich ja nicht noch laufen und ganz ehrlich, würde ich jetzt auch nicht mehr wollen.
Da vorn muss es sein. Noch mal Konzentration, vor der Linie absteigen, das Rad dem Helfer geben und in die Wechselzone laufen. Sabine suchen!
„Sabine! … Sabine, wo bischt?“ An den Nummernschildern kann ich mich gut orientieren und ich stehe eigentlich richtig. „Sabine?“ Da tönt es plötzlich direkt neben mir, „Hier!!!“. Steht direkt neben mir und sagt nix. Den Chip übergebend schicke ich Sabine auf die Reise Richtung Ziel. „Viel Spass!“
Meine Beine zittern und ich bemühe mich stehen zu bleiben. Eine Massage wäre jetzt toll. Man war dass ein Ritt. Die Uhr hatte ich blind gestoppt und jetzt realisiere ich die Zeit, 5 Stunden 21 Minuten. Für das erste Mal, ganz ordentlich.
Nach der Rückfahrt mit dem Rad zum Campingplatz, Duschen, Umziehen, Packen, wieder nach Roth. Dann Treffen am Bogen vor der Ziellinie mit Michael, der eine Super-Schwimmzeit von 1 Stunde 12 Minuten geschafft hat, warten wir gespannt auf Sabine.
Den Zieleinlauf geniessen wir gemeinsam, in einem prall gefüllten Stadion. Mit 3:39:xx als Laufzeit hat Sabine alles gegeben. Wir lachen und gratulieren uns gegenseitig für ein super Rennen.
Nächstes Jahr bin ich dann ein Langdistanz Rookie. Und wo? Natürlich in Roth. Wer einmal in Roth diese Stimmung erlebt hat, der weiss dass Roth einer der schönsten Plätze für eine Langdistanz ist. Den Startplatz habe ich bereits online gebucht und mal sehen, was in einem Jahr so geht. Gehen will ich den Marathon jedenfalls nicht!